Gruselig
Als ich damals studiert habe, habe ich etwas erlebt, an das ich immer wieder denken muss. Es war gruselig, unheimlich, schrecklich und trotzdem irgendwie faszinierend.
Mein, auch heute noch, bester Kumpel schlägt mir mit dem Handrücken an den Arm. Wahnsinn, hey das gibts doch nicht! Guck mal da. Ich schaue etwas suchend und verpeilt umher und dann sehe ich es. Ich sehe ihn! Verfolge ihn mit meinen Blicken. Sage nichts mehr. Wir sitzen in einer Vorlesung, Kumpel kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Immer wieder wiederholt er: Das gibts doch nicht. Und das gibt es wirklich nicht: Da ist einer ich. Die gleiche Frisur, die hohen Geheimratsecken, der längere Scheitel, die krumme markante Nase. In den Pausen beobachte ich ihn, der gleiche Gang. Gestik, Mimik alles gleich. Sein linker Fuss ist etwas nach innen gedreht. Ich hatte als Baby nen Sichelfuss, links. Unsere Blicke treffen sich, ihm scheint es auch aufgefallen zu sein. Anderen auch. Egal wo, in der Mensa, in der Cafeteria, in Vorlesungen, wir sehen uns, egal über welche Distanz. Keiner traut sich den anderen anzusprechen.
Mir schießen Gedanken von geklauten, zur Adoption freigegebenen Kindern und ähnlicher Unsinn in den Kopf. Kann gar nicht sein, ich bin in Süddeutschland geboren und jetzt soll ich meinen nicht existierenden Zwilling an der Nordsee finden? Das gibts nur in Dokus im Unterschichten TV.
Kurze Zeit später habe ich den Studienversuch abgebrochen, ohne ihn anzusprechen. Ich habe mich nicht mal getraut, es meinen Eltern zu Erzählen bzw peinliche Fragen zu Stellen.
Ich weiß, dass es nur ein Zufall war. Aber das war nicht nur ne Ähnlichkeit, das war wie ein Zwilling. Immer wieder muss ich an den Kerl denken, wer weiß, vielleicht war da doch was dahinter.... Ich hoffe, dass es ihm gut geht.